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26. Sept. 2021: «Die Kirche ist am Löcher stopfen»

Veröffentlicht vor mehr als 2 Jahren, 05. Okt. 2021

Ich komme gerade von einer Beerdigung im Bistum Chur. Auch dort gibt es riesige Pastoralräume. In einigen Dörfern sind wegen der Spannungen zwischen konservativen und liberalen Katholiken fast die Hälfte der Gläubigen aus der Kirche ausgetreten. Der zuständige Pfarrer rast am Wochenende von einem Ort zum anderen um fünf(!) Heilige Messen zu lesen! Unglaublich! Wie lange hält der das durch? Darf man die Frage stellen, ob das die Lösung ist?

Die Kirchen im deutschsprachigen Raum importieren im grossen Stil Priester vor allem aus Polen, Afrika und Asien. Mit ihnen versucht man gleichsam die Löcher zu stopfen, welche durch den akuten Priestermangel entstanden sind. Darf man fragen, ob das die Lösung ist?

Für die röm.-kath. Kirche in Polen sind z.B. gleichgeschlechtliche Partnerschaften immer noch des Teufels. Als der polnische Papst Johannes Paul II. 1983 Nicaragua besuchte, wollte er den Priester, Dichter und Befreiungstheologen Ernesto Cardenal nicht sehen. Dieser erschien trotzdem und kniete vor dem Papst, um dessen Hand (Ring) zu küssen. Der Papst entzog ihm die Hand, verweigerte Cardenal den Segen und drohte ihm stattdessen mit dem erhobenen Zeigefinger. Das Foto ging um die Welt. Zum «Dank» wurde Papst Wojtyla später sogar heiliggesprochen! Viele, keineswegs alle polnischen Priester, importieren einen zornigen, düsteren und dogmatischen Katholizismus in die weltoffene, liberale Schweiz und auch nach Deutschland. Das kommt nicht gut an. Ich habe das selbst über viele Jahre in Nürnberg erlebt.

Die afrikanischen und asiatischen Priester werden häufig nicht verstanden, vor allem von den Alten. Und das sind ja jene, die überhaupt noch einen Gottesdienst besuchen! Überzeugen Sie sich selbst und fragen Sie in den Seniorenheimen nach! Das ist nicht nur ein Jammer für die Gottesdienstbesucher, sondern auch für die jeweiligen Priester. Letztere spüren die grossen Unterschiede auch – nicht nur sprachlich, auch kulturell – und leiden selbst darunter. Ja, ein Stück weit werden sie geradezu «verheizt». Darf man die Frage stellen, ob das die Lösung ist?

Die meisten afrikanischen und asiatischen Priester sind nicht nur erzkonservativ, sondern sie verhalten sich ziemlich unterwürfig gegenüber der kirchlichen Obrigkeit, und wagen es nicht, auch nur ein kritisches Wort zu äussern. Sie sind auch keineswegs nur wegen des Priestermangels hier, sondern noch aus einem anderen Grund, nämlich so viel wie möglich Geld ihrem Heimatbischof zu schicken! Darf man die Frage stellen, ob das die Lösung für unsere Probleme hier ist?

Dadurch, dass man immer mehr Priester aus fremden Kulturen und mit fremden Sprachen einfliegt, werden jene Löcher auch nicht gestopft, welche in den letzten Jahren durch den Tod der treuen alten Kirchgänger entstanden sind. Übrigens – auch die Frauen werden es nicht schaffen, die Löcher zu stopfen, weil es darum gar nicht geht.

Wir sind Zeugen einer sterbenden Kirche. Mittlerweile sogar in den traditionell katholischen Ländern. Dabei ist die Talsohle bei weitem noch nicht erreicht. Es liegt nicht an mangelnder Religiosität! Kinder und auch Jugendliche sind ausserordentlich religiös. Allerdings stehen viele Eltern der Religiosität ihrer Kinder recht hilflos und neutral gegenüber, und in unseren Schulen läuft Religion ohnehin unter ferner liefen, d.h. bestenfalls als Randstunde, nachdem die Kinder abgekämpft bereits viele Stunden Unterricht hinter sich haben! Vor allem aber liegt es daran, dass die Kirchen ihre «Kompetenz» in Sachen Religion eingebüsst haben – grösstenteils selbst verschuldet.

Was ist die Lösung? Die Lösung wird jedenfalls nicht von Priestern aus aller Welt eingeflogen. Genauso wenig liegt die Lösung darin – und davon bin ich zutiefst überzeugt – im «Löcher stopfen» und in immer grösseren Pastoralräumen mit immer weniger persönlichen Kontakten. Hauptsache, man hat ein neues Logo, oder wie die Präsidentin der Pastoralraumkommission Laufental – Lützeltal schreibt: «Wir realisieren zurzeit nicht alles, was wir vorhaben, aber wir freuen uns sehr, Ihnen unser neues Logo vorzustellen.» Wie schön! Herzlichen Glückwunsch an die ganze Gemeinde!

Die Lösung findet sich eher im Gegenteil! Sie bildet sich in kleinen engagierten Gruppen in den jeweiligen Gemeinden. Erst wenn die Menschen wieder spüren, dass ihnen etwas fehlt, weil keine Heiligen Messen mehr gefeiert werden, weil keine Glocken mehr läuten, weil Kirchen verfallen, verkauft und zu Museen umgestaltet werden, vor allem aber, wenn die Menschen spüren, dass sie von einer spirituellen Blutleere umgeben und «erfüllt» sind, dann wird es einen neuen Aufbruch geben – sonst nicht! Ein solcher Aufbruch, der von «innen» kommt und nicht von «aussen» aufgesetzt wird, hat dann auch Hand und Fuss, weil er aus einem echten spirituellen Bedürfnis entstanden ist. Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg.

Franz Sabo, Pfarrer von Röschenz