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«Damit sie das Leben in Fülle haben» (27. März 2022)

«Damit sie das Leben in Fülle haben.» (Joh. 10,10)
Fragt sich nur, wo und wann? Hier und in diesem Leben, oder später im Jenseits, oder vielleicht gar nie und nirgendwo?!

Kürzlich habe ich in einer Woche vier Menschen zu Grabe getragen. Es waren sehr tragische Fälle darunter. Die Tragik scheint zurzeit Hochkonjunktur zu haben. Die letzten zwei Jahre hat uns Corona das Leben schwer gemacht – vielen sehr schwer! Ich erinnere an die Bilder von Lastwägen voller Leichen nachts in Bergamo. Jetzt Krieg in der Ukraine. Wer von uns hat Krieg erlebt? Wozu ist dieser Putin fähig? Katastrophen aller Art suchen unseren Planeten heim. Jahr für Jahr wird es schlimmer. An einem Wallfahrtsort prophezeit die Gottesmutter, dass es Asche regnen wird, und zwar in gewaltigem Ausmass. Ein Teil hat sich schon bewahrheitet (La Palma).

Für den Philosophen Arthur Schopenhauer kann es eine schlechtere Welt als die unsere gar nicht geben. All unserem Streben liegt immer ein Mangel zugrunde. Den grössten Teil unseres Lebens sind wir unzufrieden. Keine Befriedigung ist von Dauer. Kaum haben wir das eine, wollen wir das andere, usw. Deshalb sei das Leben ein Leiden. Letztlich will jeder Mensch nur noch eins, nämlich Erlösung. Der eine von Krankheit, der andere vom Alter, der eine von den Menschen, der andere hat einfach die Schnauze voll von dieser Welt.

Die zentrale Botschaft des Buddhismus lautet: Das Leben sei leidvoll und unbefriedigend, weil es von unangenehmen Ereignissen geprägt ist. Krankheit, Alter und Tod sind Ereignisse, die mit Sorge, Angst und Kummer einhergehen. Immer wieder werden wir mit Situationen konfrontiert, die wir nicht wollen, die uns traurig machen, Schmerzen bereiten, ängstigen, in Depressionen stürzen und uns leiden lassen.

Wenn man all das hört, könnte man sich glatt die Kugel geben. Aber das tun wir nicht! Von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen. Zwischendurch gewährt uns das Leiden ja zumeist ein paar Verschnaufpausen. Übrigens, weder Schopenhauer noch Buddha gaben sich die Kugel, man könnte sagen, sie waren sogar weit davon entfernt. Warum? Vermutlich hat sich ihr Leiden in Grenzen gehalten. Wir können aber noch einen anderen Grund ausmachen: Beide glaubten an eine Wiedergeburt. Darum wäre die «Kugel» nicht die Lösung, denn wenn es eine Wiedergeburt gibt, dann haben wir eine Vor- und eine Nachgeschichte. Viele nehmen eine solche Sichtweise nicht ernst, oder lachen gar darüber. Das Lachen könnte ihnen noch vergehen. Meine Devise lautet: Je mehr wir für möglich und je weniger wir für unmöglich halten, desto besser!

Der Unterschied zwischen Christentum und Buddhismus, was die Wiedergeburt betrifft, ist vereinfacht gesagt jener: Der Buddhismus geht von vielen Wiedergeburten aus, nicht nach der Devise «shett so lang shett», sondern so lange als nötig. Das heisst, so lange, bis der Mensch seine Vervollkommnung erreicht hat und nicht mehr leidet. Dann geht sein Geist ins sogenannte «Nirwana» ein. Dort gibt es weder Tod noch Wiedergeburt. Der Kreis hat sich geschlossen. Das Christentum geht von einer «Wiedergeburt» aus, die allerdings nicht direkt in den Himmel, bzw. ins «Nirwana» führt, sondern erst an einen Ort der Reinigung, dem sogenannten Fegefeuer. Der Unterschied ist also gar nicht so gross.

Ein nach meinem Empfinden wesentlicher Unterschied zwischen Buddhismus und Christentum zeigt sich jedoch beim Thema Leiden. Im Christentum geht es darum, das Leiden auf sich zu nehmen, «sein Kreuz zu tragen» (Mt.16,24)! Das Kreuz ist das Zeichen schlechthin für das Christentum. Damit nicht genug, es gibt sogar eine Leidenstheologie und eine Frömmigkeit, welche das Leiden geradezu sucht. Den meisten heutigen Christen ist das ziemlich suspekt. Dem Buddhismus ist diese Leidenssuche nicht nur suspekt, sondern völlig fremd. Ihm geht es nicht darum, das Leiden auf sich zu nehmen und zu ertragen, sondern vielmehr darum, das Leiden zu überwinden! Und zwar nicht erst im Tod oder im Jenseits («Nirwana»), sondern in diesem Leben! Buddha sagt, das ist möglich, wir können das Leiden in diesem Leben überwinden. Dazu muss man wissen, was die Ursachen des Leidens sind. Das sind vor allem:

• Die Unwissenheit des Menschen
• Die Gier des Menschen

Das gäbe jetzt allerdings eine mindestens nochmal so lange Predigt. Sie folgt an Ostern.

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