Der Journalist Lucas Wiegelmann schreibt in der «Welt» vom 13.06.2022:
Das katholische Bistum Münster hat eine Studie zu sexuellem Missbrauch vorgelegt. Wer nicht wirklich tief im Stoff ist, hat längst den Überblick verloren, wie viele katholische Bistümer nun schon eine Missbrauchsstudie vorgelegt haben. So viele Untersuchungen sind schon erschienen, viele weitere stehen bevor, eine nicht enden wollende Prozession katastrophaler Berichte von Verschweigen, Vertuschen und Leid. Jedes Mal, wenn wieder eine Studie vorgestellt wird, verstärkt sich der Eindruck: Die Kirche kommt nicht zur Ruhe. Der Missbrauch, er hört niemals auf.
Nein, er hört niemals auf, weder in der Kirche noch im Familien- und Freundeskreis. Mord und Totschlag, Betrügen und Stehlen, Menschen und Tiere quälen und andere in Misskredit bringen, auch das, und vieles mehr, hört niemals auf. Dass allein die Kirche ein Hort des Missbrauchs sei, diese Wahrnehmung sei “verzerrt“. Das sagt sogar einer der Münsteraner Studienautoren. Für Ministranten ist es nicht gefährlicher als für Kinder im Sportverein oder in der Musikschule. Wiegelmann schreibt: “So ist in der Kirche bereits in vollem Gange, was anderswo noch immer verschleppt wird. Immerhin!“
Genauso erlebe ich die Berichterstattung über die zahlreichen Missbrauchsfälle in den Medien, vor allem im deutschen Fernsehen: einseitig und verzerrt. Die Verhältnismässigkeit stimmt nicht, genauso wie beim Ukraine-Krieg. So werden wir durch die Medien manipuliert.
Der frühere Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs der deutschen Bundesregierung, J.-Wilhelm Rörig schrieb 2019: “Sexuelle Gewalt findet am häufigsten innerhalb der engsten Familie statt (ca. 25 %) sowie im sozialen Nahraum beziehungsweise im weiteren Familien- und Bekanntenkreis (ca. 50 %).“
Allein diese Zahlen machen deutlich, dass gesamthaft der Anteil der kath. Kirche an den Missbrauchsfällen ziemlich gering ist. Durch die Medien entsteht genau der umgekehrte Eindruck. Ich werde das Gefühl nicht los, viele freuen sich diebisch, wenn man erneut einen kath. Priester erwischt hat und der kath. Kirche wieder eins auswischen kann. Die Münsteraner Studie hat z.B. auch gezeigt, dass ca. 4% aller kath. Geistlichen missbräuchlich geworden sind – 4%! Mittlerweile geraten schon fast alle Pfarrer unter den Generalverdacht, Kinderschänder zu sein, obwohl sich der weit grössere Teil unter den ganz “normalen“(!) Vätern, Brüdern, Onkeln, Cousins, Nachbarn und Freunden findet.
Worauf der Beauftragte der Bundesregierung desweitern aufmerksam macht, ist folgendes: Aktuelle Befragungen von Schülern würden darauf hinweisen, dass Übergriffe durch andere Jugendliche weitaus häufiger vorkommen als sexuelle Gewalt durch Erwachsene.
Schliesslich sei noch erwähnt, dass sexuelle Gewalt in etwa 80% bis 90% der Fälle durch Männer und männliche Jugendliche stattfindet, 10% bis 20% durch Frauen und weibliche Jugendliche. Über missbrauchende Frauen wurde in Deutschland allerdings bislang wenig geforscht. Es sei jedoch davon auszugehen, dass sexueller Missbrauch durch Frauen seltener entdeckt wird, weil solche Taten Frauen kaum zugetraut werden.
Warum wird – nach meinem Empfinden – derart massiv auf die kath. Kirche eingedroschen, wenn es um die Missbrauchsthematik geht? Darauf gibt es sicherlich mehrere Antworten. Ich möchte mich auf die beiden für mich wichtigsten beschränken:
- Die kath. Kirche galt lange Zeit als die moralische Autorität. Solche Verbrechen hätten ihr die meisten Leute am wenigsten zugetraut. Nun wurde in einem ungeheuren Ausmass die Verlogenheit und Scheinheiligkeit aufgedeckt. Entsetzen und Wut folgten.
- Zeige ich mit dem Finger auf den anderen und bezichtige ihn, schwul zu sein, dann lenkt das von mir und meinen eigenen homoerotischen Anteilen ab. Will heissen: Dresche ich auf die Kirche ein, lenkt das von mir und von meinem familiären Umfeld ab. Wer weiss, ob da nicht auch die eine oder andere Leiche vergraben liegt!
Fazit:
• Die andere Seite sehen!
• Den Blickwinkel verändern!
• Kritische Haltung gegenüber den Medien einnehmen!