Wie allgemein bekannt, dürfen Frauen in der röm.-kath. Kirche nicht Priesterinnen werden. Nur, damit es klar ist, an mir soll es nicht liegen. Dies vorneweg.
Wie einigen von Ihnen bekannt, war ich am letzten Samstag zur 50-jährigen Jubelprofess der in Röschenz gebürtigen Schwester Irene Meyer in Ingenbohl. Bis 2020 arbeitete Schwester Irene im Viktoria Alterszentrum in Bern, 42 Jahre lang, bis zu ihrem 78. Lebensjahr, bis zum Verkauf des Zentrums, das über 100 Jahre den Ingenbohler Schwestern gehörte. Niemand wird daran zweifeln, dass Schwester Irene über all die Jahre ganz sicher keinen 8-Stunden-Arbeitstag hatte. Schwester Irene ist eine kleine, unscheinbare Frau, aufgeweckt, lebendig, bescheiden, interessiert und informiert. Ich durfte noch zwei anderen Schwestern begegnen, die mich ebenfalls tief beeindruckt haben. Schwester Tobia, die Provinzoberin und Schwester Desiree (aus Zwingen stammend), gleichsam die Finanzchefin des Klosters. Beide Frauen verfügen über eine natürliche Autorität, Kompetenz und Ausstrahlung – ganz ohne Quote!
Die Erfahrung dieses Tages hat mich veranlasst, ein wenig über die Stellung der Frau in der Kirche nachzudenken und bei der Historikerin Annalena Müller nachzuforschen. Ich sage Ihnen das Ergebnis auch gleich vorneweg: Ich kenne keine Organisation, in welcher eine Frau so viel Macht erlangen konnte, wie in der kath. Kirche. Wenn man mit Macht Einfluss, Gestaltungs- und Entscheidungsvollmachten meint, dann gab es sehr viele mächtige Klosterfrauen im Mittelalter und bis weit in die Neuzeit hinein – vor allem Äbtissinnen. Sie waren nicht nur für ihre Mitschwestern verantwortlich, sondern sie haben Ländereien verwaltet, Steuern erhoben, Lehen vergeben und waren Richterinnen über die weltlichen Leute, die dem Kloster unterstanden. Äbtissinnen haben sogar Priester ernannt – für die Pfarreien, die ihrem Kloster unterstanden. Einige herrschten sogar als Stadtherrinnen, wie z.B. die Äbtissin des Zürcher Frauenmünsters. Wie ihre Kolleginnen in Quedlinburg und in Essen, gehörte sie dem Reichsfürstenstand an und hatte somit einen Sitz und Stimmrecht im Reichstag – der Ständeversammlung des Heiligen Römischen Reichs.
Auch die Äbtissin im französischen Fontevraud hat einen grossen Orden geleitet, ohne einer bischöflichen Kontrolle zu unterstehen. Über ihr war nur noch der Papst. Die Äbtissin von Soissons hatte, wie weltliche Fürsten, im Kriegsfall dem französischem König 100 Fusssoldaten zu stellen. Natürlich keine Nonnen, sondern untergebene Bauern. Diese Art von Macht war für mittelalterliche Äbtissinnen eher die Norm als die Ausnahme – und zwar in ganz Europa!
Interessant ist, dass das Frauenmünster zwar der Reformation zum Opfer gefallen ist, und viele andere Klöster der französischen Revolution, kirchenrechtlich war es aber erst das II. Vatikanische Konzil, welches den Äbtissinnen ihre bisherigen Machtbefugnisse eingeschränkt hat. Die juristische Leitungsvollmacht war jetzt an die Weihevollmacht gebunden. Von nun an konnte also nur noch ein Bischof einen Priester ernennen.
Ehrlicherweise muss man erwähnen, dass die mächtigsten Äbtissinnen des Mittelalters fast ausnahmslos dem Adel entstammten, aber es gab – gerade in der Neuzeit – auch Nonnen, welche aus einfachsten Verhältnissen stammten und es in die obersten Etagen der Kirche schafften. Die wohl mächtigste und einflussreichste Ordensschwester des vergangenen Jahrhunderts war Schwester Pascalina Lehnert.
Schwester Pascalina Lehnert (nach Franz Metzger)
Die Vorwürfe an Papst Pius XII. (1876/1939 – 1958), auf dem „deutschen Auge“ eher blind gewesen zu sein, stützen sich zu einem Gutteil auf die Person und Rolle seiner Haushälterin: Vierzig Jahre lang begleitete Mutter Pascalina Eugenio Pacelli auf allen seinen Stationen – Nuntius in München und in Berlin, Kardinalstaatssekretär im Vatikan, schließlich Heiliger Vater. Sie wurde für den Pontifex unersetzlich und unverzichtbar. Ihr Einfluss, der sich vom Tagesablauf des Papstes bis hin zu wichtigen Personalentscheidungen erstreckte, brachte ihr in der Kurie den Spitznamen „Die Päpstin“ (la papessa) ein, ohne dass dadurch irgendwelche intimen Verbindungen impliziert werden sollten. Die gab es sicher nicht.
Zur Welt gekommen war Mutter Pascalina als Josephina Lehnert 1894 im oberbayerischen Ebersberg als Tochter eines Kleinbauern, der nebenbei als Briefträger arbeitete. Früh fühlte sie sich zu einem geistlichen Leben hingezogen und trat mit 15 Jahren in die Kongregation der Schwestern vom Heiligen Kreuz ein (Menzinger Schwestern), einer franziskanischen Ordensgemeinschaft mit Sitz in der Schweiz. Ihr ungewöhnliches Organisationstalent wurde rasch erkannt und sie wurde zur Hauswirtschafterin ausgebildet.
Eine ihrer ersten Aufgaben war die Arbeit in einem Erholungsheim in Rorschach am Bodensee. Dort begegnete sie kurz nach Kriegsausbruch zum ersten Mal einem hochgewachsenen Priester aus Italien, der an einem chronischen Lungenproblem litt. Die Verbindung seiner aristokratischen Erscheinung mit körperlicher Zerbrechlichkeit weckte in Schwester Pascalina mütterliche Gefühle, und es war nicht zuletzt die Fürsorge der jungen Nonne, die dazu beitrug, dass sich die gesundheitliche Verfassung des Monsignores verbesserte.
1917 übernahm Pacelli die Aufgabe des Nuntius in München. Er suchte eine Haushälterin, und unter den drei Kandidatinnen, die ihm die Ordensleitung anbot, war Mutter Pascalina. Dem Nuntius fiel die Auswahl nicht schwer, und von diesem Augenblick an war sein Leben durchorganisiert, bis zu seinem Tod gut 40 Jahre später. Pacelli benötigte diese Organisation, um sich auf seine Arbeit konzentrieren zu können. Pascalina wachte auch über die Küche, sorgte für eine ausgewogene Ernährung und mit eiserner Disziplin auf regelmäßige Essenzeiten. So konnte es sogar Staatsgästen wie dem US-Außenminister John Foster Dulles passieren, dass sie freundlich, aber bestimmt hinauskomplimentiert wurden, wenn die päpstliche Suppe auf dem Tisch stand. Dass Pius trotz seiner delikaten Gesundheit ein so hohes Alter erreichte, war nicht zuletzt der Pflege Pascalinas zu verdanken.
Ihr Organisationstalent mit eiserner Hand kam aber auch anderen Menschen zugute. Als 1944 die Kriegsfront Rom erreichte und tausendfaches Leid über die Zivilbevölkerung brachte, gründete Papst Pius XII. sein eigenes Hilfswerk, dessen Aufsicht er in die Hände seiner vertrauten Haushälterin legte. Die Aktivitäten des Hilfswerkes weiteten sich mit Kriegsende auf viele Länder außerhalb Italiens aus. Viele Leben wurden gerettet, und vielen Menschen wurde ein Neuanfang ermöglich.
Mutter Pascalinas Macht und Einfluss nahmen zu, was sich auch zunehmend in der ganzen Kurie bemerkbar machte, besonders in den letzten Jahren, als Pius’ Kräfte nachließen. Personalentscheidungen, bis hin zur Ernennung von Kardinälen, wurden vom Urteil der Ordensschwester abhängig. Entsprechend groß waren die Ressentiments der von Männern dominierten Kurie gegenüber der „Papessa“. Viele der Unterstellungen, sie habe Pius zu einer pro-deutschen Haltung manipuliert, entsprangen dem Versuch, ihre Position zu untergraben. Pius hatte am 9. Oktober 1958 kaum die Augen für immer geschlossen, da wurde Mutter Pascalina formlos aus dem Papstpalast in Castel Gandolfo verwiesen – genau genommen hinausgeworfen.
Ihre letzten Lebensjahre verbrachte sie in Wien und konnte noch erleben, dass ihr das Bundesverdienstkreuz und der Bayerische Verdienstorden überreicht wurden. Eine späte Wiedergutmachung der Kurie war, dass sie nach ihrem Tod 1983 auf dem Campo Santo Teutonico im Vatikan beigesetzt wurde, ganz in der Nähe ihres päpstlichen Schützlings.