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OSTERN 2021

Veröffentlicht vor mehr als 3 Jahren, 07. Apr. 2021

Es mit sich allein aushalten, ohne etwas zu tun, das ist gar nicht so leicht. Wenn wir aber alt werden wollen, werden wir es lernen müssen. Denn es wird Zeiten geben, in denen wir uns allein fühlen – heute schon, auch morgen und erst recht übermorgen – selbst wenn wir eine Familie oder Freunde haben. Und dabei wird es Zeiten geben, in denen wir lange allein sind. Warum ist es gar nicht so leicht, es mit sich allein auszuhalten!

Weil Gedanken und Gefühle aufkommen, die wir nicht haben wollen, die eben schwer auszuhalten sind. Gedanken und Gefühle, die mit verschiedensten Verletzungen zu tun haben, mit Ängsten, Enttäuschungen, Traurigkeiten; mit Sexualität, Einsamkeit, Mobbing, oder mit dem Tod. Das alles fühlt sich unangenehm an. Dem will man entfliehen und irgendwie entkommen. Vielen gelingt das ganz gut – vorübergehend – vor allem den Jungen. Es gibt so viele Möglichkeiten, sich abzulenken: Sport, Gamen, Chatten, Chillen, (hoffentlich nicht Killen!), Musikhören, Kollegen treffen, Schoggi essen … Aber vielen gelingt das nicht, dieses «Ausweichen» – vermutlich mehr Menschen als man denkt! Und auf Dauer gelingt es sowieso nicht. Und irgendwann steht man dann da: sprachlos, hilflos, haltlos, machtlos, und vielleicht sogar beziehungslos, weil man merkt, dass die vermeintlichen Beziehungen gar keine sind, sondern höchstens Kontakte. Oder, weil der Mensch, der mir am nächsten stand und mir am vertrautesten war, nicht mehr da ist. Oder, weil ich feststellen muss, ständig vor mir davon gelaufen zu sein, oder, oder …

Leben bedeutet eben auch, sich den Schattenseiten zu stellen – vor allem den eigenen! Deshalb ist es gut, schon in jungen Jahren zu lernen, es mit sich allein auszuhalten, mit seinen Geheimnissen, mit seinen Ängsten, Verletzungen, aber auch Hoffnungen und Sehnsüchten. Das kann man umso besser, je mehr man sich kennt.

Die unangenehmen Gedanken und Gefühle, die zuweilen plötzlich und unerwartet durch Kopf und Herz gehen, haben wir zumeist nicht gerufen. Sie kommen ungefragt und oft auch ungewollt. Wir können gar nichts dafür. Sie kommen einfach. Die große Frage ist, was wir damit machen, wie wir mit ihnen umgehen!

Ich kann mich erinnern: In meiner Computer-Anfangs-Zeit, wenn es nicht so gelaufen ist, wie ich das wollte, war ich manches Mal nahe dran, das Ding aus dem Fenster zu werfen. So eine Wut hatte ich. Und das hat mich erschreckt, was da für eine Wut in mir schlummert! Woher kommt sie? Wie werde ich mit ihr fertig, damit ich den PC beim nächsten Wutanfall nicht doch noch aus dem Fenster schmeiße und womöglich jemand verletze.

Wenn wir also leben wollen – und Ostern ist das Fest des Lebens – wenn wir echte Freude am Leben haben wollen und es auch genießen können wollen, dann müssen wir die dunkle Seite des Lebens integrieren, und dazu gehören unsere eigenen Schattenseiten. Unsere Kämpfe müssen wir austragen, davor können wir nicht davonlaufen. Das muss uns klar werden, wenn wir unseren Frieden finden wollen. Und den Frieden brauchen wir, nicht nur zum Leben, sondern auch zum Sterben.

Wir sind immer beides: mit anderen verbunden … und allein.

Das ist so, und das wird so bleiben.

Die meisten von uns leben den grössten Teil ihres Lebens auf der «sozialen» Seite, also mit Familie, Freunden, Arbeitskollegen. Dennoch ist da eine Kammer in jedem Menschen, in der er allein ist. Das wissen wir alle.

Ich habe am Gründonnerstag 2021, bereits zum zweiten oder dritten Mal den Film gesehen «Dein Weg»: Vier Personen treffen sich mehr oder weniger zufällig auf dem Jakobsweg. Viele Tage sind sie mehr oder weniger gemeinsam unterwegs nach Santiago de Compostela. Manchmal pilgern sie getrennt, kommen dann aber immer wieder zusammen. Jeder hat seinen Grund, warum er/sie diese Pilgerreise unternimmt. Jeder/jede schleppt etwas mit sich herum.

Der Älteste, ein Amerikaner, hat eine kleine Kiste dabei. Darin befindet sich die Asche seines Sohnes, der ein paar Jahre vorher auf diesem Pilgerweg durch einen Blitzschlag getötet wurde. Ein Holländer, eine Frohnatur mit kräftiger Statur, pilgert, um abzunehmen – behauptet er jedenfalls. Ein Pseudo-Schriftsteller und vordergründig ein Angeber, will wissen, warum sich die Leute auf Pilgerschaft begeben. Warum er wirklich da ist, wird nicht so recht deutlich. Schliesslich gehört noch eine attraktive Frau zur Gruppe, die vorgibt, mit dem Rauchen aufhören zu wollen, im Grunde aber leidet sie an grossen Schuldgefühlen wegen einer Abtreibung.

Am Ziel angelangt, sieht man dann jeden einen Moment für sich allein:

  • Der Holländer geht auf die Knie.
  • Der Angeber sitzt in der Kirchenbank und weint.
  • Die Frau findet ihren Frieden.
  • Der Amerikaner steht allein auf einem Felsen und zerstreut den Rest der Asche seines Sohnes ins Meer.

Man sieht sie dann nochmal zusammen. Die Frau zündet sich eine Zigarette an, schmunzelt, zwinkert den anderen zu und sagt: «Das war ja nie der Grund …»

Wir sind immer beides: mit anderen verbunden … und allein.

Das ist so, und das wird so bleiben.