Röschenz, 38-39.2019
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Röschenz, 38-39.2019

Bild: nach dem Schulanfangs-Gottesdienst am 25. August

Predigten

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Es herbstelet …

Herr, es ist Zeit. Der Sommer war sehr gross.
Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,
und auf den Fluren lass die Winde los.
Befiehl den letzten Früchten voll zu sein;
Gib ihnen noch zwei südlichere Tage,
dränge sie zur Vollendung hin und jage
die letzte Süße in den schweren Wein.

(R.M. Rilke)

In den letzten zwanzig Jahren bin auch ich schwerer geworden, jedes Jahr um ein Pfund. Dadurch fühlen sich auch meine Beine schwerer an. Alles in allem komme ich mir schwerfälliger vor, jedenfalls körperlich. Ich merke es, wenn ich versuche, mir die Socken im Stehen anzuziehen, was früher gar kein Problem war. Doch mittlerweile ist diese jahrelange Übung mit Anstrengung verbunden. Der Bauch ist im Weg, die Balance zu halten ist schwierig. An den Socken kann`s nicht liegen. Es liegt an der Schokolade und am Älterwerden. Zumindest letzteres dürfte eine ganz normale Entwicklung sein.

Wie meine Urgroßmutter dazumal, saß ich vor ein paar Wochen in der milden Herbstsonne auf dem Bänkchen vor dem Haus und dachte so bei mir: Nein, nein, auf keinen Fall. Auf gar keinen Fall möchte ich noch mal zurück. Die irdischen Aussichten sind zwar nicht so rosig, aber selbst, wenn ich noch einmal Zwanzig oder Dreißig wäre, das Alter lässt sich nicht aufhalten, die Aussichten wären dann auch nicht besser, ich fürchte vielmehr, das Gegenteil ist der Fall.

Und dann schaute ich mich um: ich blickte auf die sanften Hügel des Schwarzwaldes. Ja, es stimmt, keine Jahreszeit ist so bunt, wie der Herbst. Die Farben sind nicht einfach grün, gelb, rot, sondern sie gehen ineinander über, vermischen sich. Der Herbst kreiert tausendfach neue Farben. Die Wärme im Oktober ist nicht heiß, sondern mild. Das Licht ist zu keiner Zeit so golden wie im „Goldenen Oktober“. Glücklich ist, wer dieses Wunderwerk der Natur wahrnimmt, und diese Pracht in sich aufzunehmen vermag. Das kann nur der, der nicht schon im Frühling oder im Sommer seines Lebens diese Welt verlässt.

Ja, Herr, so schenke uns bitte noch ein paar solche Jahre mit „südlicheren Tagen“ und führe uns sanft zur Vollendung hin. Und wenn es irgend möglich ist, dann lass uns gesund sterben, so wie eine reife Frucht, die sich selbst loslässt.

(Franz Sabo)

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