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Der russische Bär (13.03.2022)

Einige fordern, dass sich die Kirche nicht in die Politik einmischen soll. Das ist erstens gar nicht möglich, weil die christliche Botschaft immer auch politisch ist, bzw. politische Folgen hat. Zweitens erleben wir gerade, wie falsch eine solche Forderung ist. Die Stimme der russisch-orthodoxen Kirche hat Gewicht.  Putin mag Atheist sein, aber die grosse Mehrheit des russischen Volkes ist nicht atheistisch. Russen und Ukrainer, das sind «Brüder-Volker», die eben auch den Glauben miteinander teilen. Wo bleibt die Stimme des russisch-orthodoxen Patriarchen und anderer Kirchenführer, um Putin zur Besinnung zu rufen?

Keine Frage, die Taten Putins sind unentschuldbar, aber nicht unerklärbar, und – aus seiner Sicht – in gewisser Weise auch verständlich. Diese Seite darf bei all dem Unrecht, welches das russische Regime dem ukrainischen Volk antut, trotzdem nicht ganz vergessen werden. Der Westen ist nicht frei von einer Mitverantwortung und Mitschuld an diesem Krieg.

Die NATO hat sich in den letzten Jahren immer weiter nach Osten ausgedehnt. Seit 2004 steht sie im Baltikum gleichsam direkt vor der Haustüre Russlands. Dessen Regierung sieht sich dadurch bedroht und fordert seit langem, damit muss Schluss sein.

Ich erinnere an die Kuba-Krise im Oktober 1962, als die damalige Sowjetunion Mittelstrecken Raketen mit Atomsprengköpfen auf Kuba stationierte, also gleichsam vor der Haustüre der USA. Die amerikanische Regierung mit J.F. Kennedy reagierte mit einer Seeblockade und massiven Drohungen gegen die Russen. Diese zogen sich schlussendlich zurück. Ein Krieg, der leicht atomar hätte werden können, wurde knapp verhindert. Das hat dieses Mal nicht geklappt. Russland besteht darauf – wie seinerzeit die USA – dass sichergestellt wird, dass vor seiner Haustüre keine Atomwaffen stationiert werden, was durch eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine möglich wäre.

Mittlerweile signalisiert die Ukraine in dieser Frage Kompromissbereitschaft. Das hätte sie schon früher tun können, gemeinsam mit dem Westen und der NATO. Damit wäre höchstwahrscheinlich der Krieg verhindert worden. Man hätte es zumindest versuchen müssen. Dieser Aspekt darf eben nicht verschwiegen werden!

Die Vorschläge von Alt-Bundesrätin Calmy-Rey vor ein paar Wochen zielten genau in diese Richtung. Sie schlug vor, die Ukraine sollte – wie Finnland – neutral sein und bleiben.

Der Marineinspekteur Kay-Achim Schönbach verliert Ende Januar nach Äußerungen zum Ukraine-Konflikt seine Führungsposition bei der Bundeswehr. Warum? Weil er die Wahrheit gesagt hat. Schönbach hatte bei einer Veranstaltung unter anderem gesagt: «Die Halbinsel Krim ist weg, sie wird nicht zurückkommen, das ist eine Tatsache.» Außerdem könne die Ukraine nicht Mitglied der Nato werden, weil sie die Bedingungen nicht erfülle. Putin wolle «Respekt auf Augenhöhe», sagte der Vizeadmiral. Er sehe die größere Bedrohung in China. «Wir, Deutschland und Europa brauchen Russland, weil wir Russland gegen China brauchen.» Er sei ein strenggläubiger Katholik und Russland sei ein christliches Land – «obwohl Putin ein Atheist ist, aber das ist egal». Die grosse Mehrheit der Russen sind Christen.

Ich stimme Schönbach vollkommen zu, abgesehen davon, dass ich kein «strenggläubiger Katholik» bin. China ist der lachende Dritte.

Putin kann sich keinen Gesichtsverlust leisten. Er wird sich keinesfalls ohne Zugeständnisse seitens der Ukraine zurückziehen. Provoziert man ihn mit noch mehr Waffenlieferungen an die Ukraine, traue ich Putin eine Verzweiflungstat zu. Dieser Mann ist dazu fähig. Noch mehr Waffen führen zu noch mehr Zerstörung und ziehen diesen Krieg nur in die Länge. Es liegt jetzt vor allem an der Ukraine und an Europa Zugeständnisse zu machen, um das Blutvergiessen und Elend zu beenden. Lasst die Amis nach Möglichkeit aussen vor, denn die haben in den letzten Jahrzehnten genug Unheil angerichtet, von Vietnam über den Irak bis zu Afghanistan.

Jeder Krieg ist ein Versagen der Politiker. Dieser Krieg aber ist in besonderem Masse ein Versagen der westlichen Politiker. Europa hat Russland in den letzten zwanzig Jahren immer mehr in die Enge getrieben. Angela Merkel war 16 Jahre daran beteiligt. Sanktionen um Sanktionen, nichts haben sie gebracht – im Gegenteil! Keinerlei Entgegenkommen bei durchaus berechtigten russischen Forderungen, wie den Verzicht der Ukraine auf eine NATO-Mitgliedschaft. Jetzt wundert man sich, wenn der «russische Bär» zurückschlägt.

Meine Oma, die mit ihren Kindern den Zweiten Weltkrieg und eine anschliessende über dreijährige Internierung in Jugoslawien überlebt hat, sagte zu mir: Es waren die Österreicher, die Franzosen und die Deutschen, die Russland angegriffen haben. Alle sind gut beraten, den «russischen Bären» nicht zu reizen. Russland gehört zu Europa. Es muss eingebunden werden. Russland steht uns näher als die USA, denn Russland hat eine Kultur.

Die nächsten Jahre werden es zeigen: die grösste Gefahr droht uns nicht aus Russland – trotz eines Putin. Die weit grösste Gefahr kommt aus China. Was haben wir bloss für unfähige Politiker, die das nicht sehen. Altbundeskanzler Schröder mag ein Kotzbrocken sein, aber ich bin sicher, mit ihm als Kanzler wäre es nie zu diesem Krieg gekommen.

Pfr. Franz Sabo

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