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Weihnachten 2022

Veröffentlicht vor mehr als einem Jahr, 27. Dez. 2022

Der Weihnachts-GD war schon für so manchen Pfarrer eine Art Versuchung – auch für mich. Denn da tauchen plötzlich Leute auf, die hier sonst nicht oder kaum zu sehen sind. Denen könnte man ja jetzt ein bisschen die Leviten lesen, und dafür sorgen, dass dies nun wirklich das letzte Mal ist, dass sie an Weihnachten den GD besuchen.

Selbst wenn es so sein sollte, dass jemand nur deswegen kommt, weil sMami und sGrosi sich darüber freuen, ist das ja auch was Schönes. Manchmal sehe ich den einen oder anderen Ex-Ministranten, der mittlerweile einen Bart oder so etwas ähnliches trägt. Auch da denke ich, schön, dass er da ist – der Ministrant! Gerade an Weihnachten brauchen wir alles andere als jemanden, der uns die Leviten liest.

Vielmehr brauchen wir in diesen Zeiten positive Erfahrungen. Ich habe die Welt noch nie so verlogen und so gespalten erlebt, wie in den letzten Monaten und Jahren: von Corona über den Ukraine-Krieg, der schrecklichen Situation im Iran und in China, bis hin zur Gender-Debatte und der glorreichen Fussball-WM in Katar, und jetzt auch noch den Korruptionsskandal im EU-Parlament. Wir brauchen ein bisschen mehr “Good News“, gute Nachrichten, ein bisschen Wärme, Fröhlichkeit, ab und zu herzlich lachen können, liebe Menschen, solche, denen wir vertrauen und vielleicht durchaus auch ein paar Träume.

Kürzlich, im Schwarzwald, sass ich am Fenster und schaute den Vögeln zu. Alles mögliche tummelte sich bei den Futterhäuschen. Ein Rabe stolzierte hin und her, immer wachsam. Meine Gedanken lösten sich ein bisschen von der momentanen Realität. Ich stellte mir vor, dass es an der Tür klopft. Ich öffne, und vor mir steht der Rabe und sagt: “Hallo, bitte nicht erschrecken, ich bin`s nur!“

Stellen Sie sich das mal vor, so etwas würde Ihnen passieren! Selbst wenn der Rabe Sie vorwarnen sollte: Bitte nicht erschrecken! – Sie würden vermutlich trotzdem erschrecken und zu zweifeln beginnen, ob Sie noch alle Tassen im Schrank haben. Vielleicht würden Sie die Türe schnell zuschlagen und anfangen zu grübeln. Vermutlich würden Sie die Tür aber wieder öffnen, um nachzusehen, ob der Rabe noch da ist! Und wenn er noch da ist, was dann??

Ich bin ziemlich sicher, ich würde nicht erschrecken. Ich wäre auch nicht sonderlich überrascht, sondern vor allem sehr, sehr erfreut. Ich würde den Gruss erwidern und ihn einladen, mit ins Haus zu kommen, dann könnten wir uns weiter unterhalten. Ich wäre wirklich sehr, sehr neugierig.

Ich würde nicht erschrecken, wäre nicht überrascht und würde nicht an meinem Verstand zweifeln, vor allem deswegen, weil ich es für möglich halte, dass es so etwas gibt. Es ist sowieso im Laufe der Zeit zu einer meiner Lebensdevisen geworden, so viel wie möglich für möglich zu halten, und so wenig wie möglich für unmöglich. Ich fahre gut mit dieser Einstellung.

Was wissen wir? Was wissen wir z.B. vom Universum? Von unserem Universum sind uns ca. 5% bekannt. Von unserem Universum! Kein Mensch weiss, wie viele Universen es gibt! 5% von unserem Universum sind uns bekannt. Was ist da schon ein sprechender Rabe?! Fast schon eine Selbstverständlichkeit!

An Weihnachten hören wir auch jedes Jahr eine Geschichte, die für viele höchstens ein Märchen ist. Wir hören von einem ausserordentlich grossen Stern, der auf eine armselige Hütte strahlt, und von einem ganzen Heer von Engeln, die sich um diesen Stall versammeln und Gott preisen, weil sein Sohn in diese Welt gekommen ist.

Ehrlich gesagt, ich glaube nicht, dass es so gewesen ist, aber ich halte es durchaus für möglich! Es spricht sogar sehr viel dafür, dass zumindest irgendetwas Aussergewöhnliches passiert ist. Dieser Mensch, der damals geboren wurde, hat immerhin die Welt verändert und wirkt bis heute. Für Milliarden von Menschen war und ist er von existentieller Bedeutung. Immer noch richten Millionen von Menschen ihr Leben nach ihm und seiner Botschaft aus.

Aussergewöhnliches geschieht bestimmt auch in Ihrem Leben – ist geschehen, geschieht und wird geschehen. Die Frage ist, sehen wir es, halten wir es für möglich und wie interpretieren wir aussergewöhnliche Ereignisse.

Deshalb zitiere ich nochmal die Grossmutter von Selma Lagerlöf, die, nachdem sie die Geschichte von der “Heiligen Nacht“ erzählt hat, zu ihrer Enkelin sagt: “Das musst du dir merken, denn es ist so wahr, wie ich dich sehe und du mich siehst. Es kommt nicht auf Licht und Lampen an und auch nicht auf Sonne und Mond, um zu sehen. Was wir brauchen, sind Augen, die Gottes Herrlichkeit erkennen können.“

… Und sollte Ihnen einmal ein sprechender Rabe begegnen, wundern sie sich nicht, es ist durchaus möglich!