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Gut und Böse (22. Januar 2023)

Veröffentlicht vor mehr als einem Jahr, 23. Jan. 2023

„Denn er lässt seine Sonne aufgehen über Bösen und Guten und er lässt regnen über Gerechte und Ungerechte.“ So lesen wir bei Matthäus, Kapitel 5. Gott sei Dank! Man kann eigentlich gar nicht genug dafür danken, dass es so und nicht anders ist. Versuchen Sie sich nur einmal vorzustellen, was dabei herauskommen würde, wenn diese Macht auch noch in den Händen der Menschen liegen würde.

Warum wohl lässt Gott seine Sonne aufgehen über den „Bösen“ und den „Guten“ gleichermaßen? Warum lässt Gott es regnen über „Gerechte“ und „Ungerechte“? Man könnte genauso gut fragen: Warum greift Gott nicht ein?

Eine Antwort – vielleicht die naheliegendste – könnte sein: Bilanz wird am Ende gezogen. Da ist schon etwas dran. Ich bin seit über 40 Jahren Pfarrer und ich kann bestätigen: die meisten Menschen ziehen gegen Ende ihres Lebens Bilanz. Simon Peng sagt: „Sterben ist ein Klärungsprozess. Selten sind Menschen so abgeklärt, dass sie nicht noch etwas verarbeiten müssen.“ Was dann kommt, wissen wir nicht.

Eine andere Antwort liefert uns die für mich immer wieder faszinierende Geschichte vom sogenannten „Sündenfall“: Der Mensch will die Frucht vom Baum der Erkenntnis essen. Er will wie Gott sein, und das heisst unter anderem, in der Lage sein, klar zu unterscheiden, was Gut und Böse ist. Das ist nur beschränkt möglich.

„Da gingen beiden die Augen auf, und sie erkannten, dass sie nackt waren und versteckten sich“. Seither tun dies die Menschen, je länger je mehr: sie verstecken sich vor Gott. Sie wollen nicht gesehen, und schon gar nicht gefunden werden. Sie wollen ein freies, selbstbestimmtes Leben führen. Doch ein solches gibt es eben auch nicht grenzenlos. Wir stoßen laufend an unsere Grenzen und an die der anderen. Damit sich die Zusammenstöße in Grenzen halten, gibt es Grenzen, bzw. Regeln und Gesetze wie z.B. nicht zu töten und nicht zu stehlen. Doch auch da gibt es Ausnahmen. Die Auslegung und Interpretation dieser Ausnahmen schaffen Probleme. Es ist eben keinesfalls immer klar, wer oder was gut, bzw. böse ist, und wer oder was gerecht, bzw. ungerecht ist.

Dieses Dilemma haben uns biblisch gesprochen Adam und Eva eingebrockt. Man könnte aber auch sagen – und das ist keineswegs unbiblisch: Dieses Dilemma gehört wesenhaft zum Menschen. Das ist nicht unbiblisch, denn das hebräische Wort „Adam“ bedeutet übersetzt „Mensch“.

Mit diesem Dilemma müssen wir zurechtkommen. Was uns dabei hilft, ist unser Gewissen. Aber auch das ist keineswegs immer eindeutig. Trotzdem bleibt es die letzte Instanz. Und abgerechnet wird am Schluss. Am Schluss, wenn wir nicht mehr davonlaufen und uns verstecken können. Was während des Sterbens geschieht, ist nicht gänzlich ein Geheimnis. Viele berichten, dass ihr Leben gleichsam wie ein Film nochmal vor ihrem inneren Auge abläuft. Offenbar vor allem dann, wenn es noch etwas zu klären gibt.

Gut möglich, dass es gar nicht Gott ist, der uns richtet, sondern unser Gewissen. Deshalb ist es ratsam, ein anständiges Leben zu führen, denn wir wissen nicht, was uns am Ende erwartet. Es ist viel mehr möglich, als wir für möglich halten! Schließlich wollen wir doch alle im Frieden sterben?