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Politik und Kirche – 15. November 2020

Veröffentlicht vor mehr als 3 Jahren, 19. Nov. 2020

Wir können zur Zeit wahrlich eine ganze Reihe von bedeutenden Bewegungen und Entwicklungen verfolgen, ob es nun Corona ist, die Präsidentenwahl in den USA und ihre Folgen, das Aufbegehren grosser Teile der Bevölkerung gegen die letzte Diktatur Europas in Weissrussland, aber auch die massiven Demonstrationen in Polen gegen das neue Abtreibungsgesetz.

Damit keine Missverständnisse entstehen: Ich bin alles andere als ein Freund von Abtreibung, und schon gar nicht bin ich ein Befürworter der Fristenlösung. Für mich ist alles Leben von Beginn an heilig. Es geht nicht nur darum, den Urwald und bedrohte Tierarten zu schützen, sondern ebenso ungeborenes Leben, deshalb geht mir persönlich unser Abtreibungsgesetz zu weit (Abtreibung ist in der Schweiz bis zur 12. Schwangerschaftswoche legal). Allerdings geht mir das neuerdings in Polen verabschiedete Gesetz auch zu weit – aber in die andere Richtung. Man muss mit diesem Thema differenzierter umgehen. Das Leben ist nicht schwarz oder weiss – es ist bunt, eben differenziert.

Viele Frauen – auch Männer – sind nicht nur auf die Strasse gegangen, um gegen dieses neue Gesetz zu demonstrieren, sondern sie haben sich auch vor Kirchen versammelt, und zwar mittlerweile nicht nur in den Städten, sondern auch auf dem streng katholischen Land. Wer genauer hinschaut, der wird feststellen: Es geht hier nicht «nur» um das Abtreibungsgesetz! Dahinter steckt noch etwas anderes: Mehr und mehr Menschen wehren sich gegen den Pakt zwischen der rechts-konservativen Regierung und der rechts-konservativen röm.- katholischen Kirche in Polen. Es war der rechts-konservative polnische Papst Wojtyla, der die latein-amerikanische Befreiungs-Theologie zerschlagen und ihre Vertreter – allen voran Ernesto Cardenal – öffentlich gedemütigt hat. Quasi als «Lohn» wurde dieser Papst dann auch noch heiliggesprochen.

In Polen hat nun das begonnen, was bei uns vor ungefähr 60 Jahren seinen Anfang genommen hat: die Menschen wehren sich gegen den Pakt zwischen Staat und Kirche und gegen die Jahrhunderte lange moralische Bevormundung durch die kirchliche Obrigkeit und das Bekanntwerden massivster kirchlicher Missstände und Missbräuche. Was daraus entstanden ist, wissen und sehen wir: die Menschen haben massenweise der Kirche den Rücken gekehrt und unsere Kirchen sind fast leer – nicht erst seit «Corona». Und genau das geschieht jetzt in Polen. Wir werden es in den nächsten Jahren erleben. Es wird leider einen weiteren Exodus aus der röm.-kath. Kirche geben, für den die Kirche selbst die Hauptverantwortung trägt. Zumindest die polnische Kirche hat offenbar nichts gelernt.

Nun, man könnte jetzt durchaus sagen – und man würde damit wohl nicht falsch liegen – das war unter anderem auch eine politische Predigt. Fast alle Predigten – keineswegs nur die meinen – sind irgendwie auch von politischer Natur. Die Kirche kann gar nicht anders, als auch politisch zu sein. Sie merken, ich betone immer wieder das «auch»! Sonst müsste die Kirche ganz den Mund halten, und sie dürfte sich nicht für Arme, Unterdrückte, Benachteiligte usw. einsetzen. Wo die Grenzen liegen, das ist – ich sag`s mal salopp – Geschmackssache. Einige Pfarreien und auch Bischöfe setzen sich öffentlich für die Annahme der Konzern-Verantwortungs-Initiative ein, andere – wie z.B. der Kirchenrat von Röschenz – halten sich da zurück. Ich persönlich unterstütze die Initiative. Andererseits empfinde ich es schon fast beschämend, aus opportunistischen Gründen, sich des «C`s» in der CVP entledigen zu wollen.

Franz Sabo